666 Tage im Wohnmobil leben – Ja ich weiß, andere ziehen nach ein oder fünf Jahren ein Resumée, feiern Jubiläum. Ich finde 666 ist auch eine schöne Zahl, hat ja auch was diabolisches, äähm symbolisches, also nehmen wir doch einfach diese daher: Ich bin nun also 666 Tage unterwegs.

Und da ich an meinem Blog nicht schreibe wenn Themen auf dem Zeitplan stehen, sondern wenn mir ein Thema im Kopf rumschwirrt, gibt es diesen Artikel eben jetzt zu lesen. Und das ist derzeit beispielsweise die Frage »was wäre, wenn …«. Auch bekannt als »hätte, hätte, Fahrradkette«. Was wäre, wenn ich vor 666 Tagen (oder so) nicht meine sieben Sachen gepackt hätte?

Vor allem aber ist es eine wiederkehrende Erkenntnis. Ein Gefühl, das ich in meinem früheren Leben eher selten hatte. Es ist der Gedanke »Ist ja schon geil so«.

Dieser Gedanke kommt einem an Tagen wie heute in den Sinn. Wir stehen mit dem Wohnmobil inmitten schöner Natur, es hat 33 Grad, der See vor uns angenehme 24 Grad. Am Morgen stehe ich auf, nachdem ich ausgeschlafen habe – und nicht weil der Wecker, oder noch besser, der Postbote klingelt. Dann geht es eine Runde mit Gassi – und zwar nicht jeden Tag die exakt gleiche Runde, sondern jeden Tag eine neue. Ein guter Kaffee, und ich setze mich für zwei Stunden an den Laptop. Nach etwas Arbeit stehe ich vor der harten Entscheidung: Abkühlung im See oder erst noch eine Gassirunde in die andere Richtung? Ich mache uns etwas Schnelles zu Mittag, und stehe vor der nächsten Entscheidung: Erst noch eine Stunde an den Laptop, oder direkt Siesta? Zwischendurch eine Kaffeerunde mit den Nachbarn, oder einen Shoppingabstecher in die nächste Stadt – die Tage fließen dahin, ohne großartige Struktur, ohne Stress. Braucht es etwas Abwechslung, dann besorg ich mir die. Wen nicht, dann nicht.

Ein Lebensstil, den andere vielleicht in ihrem Jahresurlaub praktizieren – den wiederum wir zur Erholung vom stressigen Alltag aber einfach nicht mehr brauchen. Ist ja eigentlich schon geil, oder?


Erkenntnisse nach 666 Tagen Rumtreiberei

Ich bin jetzt 666 Tage netto unterwegs. Also eigentlich sind es knapp 700 Tage, einschließlich Heimaturlaub. Was hat sich seither verändert oder anders entwickelt als anfangs gedacht?

Reiseverhalten: Super Slow Travel

Ein Phänomen, das sich gut beobachten lässt: wer recht frisch ins Wohnmobil gezogen ist, der ist noch recht umtriebig. Spätestens nach drei Tagen zieht es einen weiter. Im Laufe der Zeit verlängert sich die Standzeit jedoch irgendwie schleichend. Erst sind fünf Tage schon recht lang, und irgendwann passiert es dann, dass 10 Tage an einem schönen Plätzchen plötzlich rum sind. Insbesondere dann, wenn du autark bist, ohne Zeitplan und definiertes Ziel durch die Gegend tingelst, oder unterwegs nette Leute triffst, kann das durchaus vorkommen.

Ich habe festgestellt, dass ich zwischen Reisetagen und Arbeitstagen unterscheiden muss. Sonst wird mir das zu stressig. An Reisetagen wird gereist – überlegen, wo man hinfährt, zusammen packen, die Hütte aufräumen, fahren, Platz suchen, ankommen, einrichten, Gegend erkunden, Smalltalk machen, vielleicht was besichtigen oder einkaufen … soll ein Reisetag entspannt bleiben, darf er nicht allzu viel Arbeit enthalten. Wenn man das erstmal raus hat, funktioniert das Arbeiten auf Reisen ganz wunderbar.

Menschen, die dir entsprechen lernst du an Orten kennen, die dir gefallen

Eine Frage, die mir in letzter Zeit häufiger von Menschen gestellt werden, die alleine auf Tour gehen möchten: Wie komme ich in Kontakt mit anderen Alleinreisenden, mit Gleichgesinnten? Insbesondere Frauen scheuen sich davor, sich irgendwo in die Pampa zu stellen – auch wenn sie Ruhe und Natur jedem Stellplatz oder Campingplatz bevorzugen würden. Jetzt ist es aber so: wenn du Leute kennen lernen möchtest, die so ticken wie du, die für dich interessant sind, dann solltest du auch an Orte gehen, die dir gefallen. Wenn du als alternativer Naturmensch auf einem vollbetonierten Wohnmobilstellplatz rumstehst, dann ist die Chance, dass du einen entspannten Abend am Lagerfeuer mit anderen alternativen Naturmenschen verbringst, verdammt gering.

Ist das Nomadenleben minimalistisch?

Diese Frage lässt sich mit einem klaren JEIN beantworten. In so einem Wohnmobil ist das Platzangebot begrenzt, man kann nicht alles mitschleppen. Du hast weniger Klamotten, das Bücherregal ist auch recht übersichtlich, und jede Tube mehr im Badschrank kann direkt ein mittleres Chaos entfachen. Und dennoch, würden wir mal die Schränke aufräumen, sicherlich könnte ein Drittel rausfliegen. Man hat immer mehr dabei als wirklich notwendig wäre, und im Laufe der Zeit stellt man fest, dass man eigentlich mit noch weniger auskommen könnte.

In manchen Dingen praktizieren wir Minimalismus, einfach weil sie uns entsprechen. Im Sommer braucht es keine warme Dusche, wenn der See vor der Haustüre liegt, in Verbindung mit (einem nicht die Umwelt belastenden) Shampoo. Wir benötigen (zumindest noch) keine Klimaanlage, wenn der Bach nebenan Abkühlung verspricht.

Dann wieder gibt es Annehmlichkeiten, auf die du im Wohnmobil durchaus verzichten könntest. Hierbei handelt es sich primär um lieb gewonnene Gewohnheiten, die man sich auch abgewöhnen könnte. Der Kaffee aus dem Vollautomaten ist aber schon lecker, also belassen wir das mit dem Minimalismus an dieser Stelle.

Was wächst ist das Bewusstsein für Ressourcen. Denn alles, was du unnötig verbrauchst, musst du vorzeitig neu beschaffen.

Das führt mich zur nächsten Frage:

Macht das Wohnmobilleben einen zum veganen Gutmenschen?

Für das Leben auf Reisen ist ein Mindestmaß an Weltoffenheit, Toleranz und positive Grundeinstellung eigentlich obligatorisch. Daher erstaunt es mich immer wieder, dass es auch Menschen gibt, die verbittert und engstirnig durch die Gegend reisen. Einheimischen und Mitreisenden gegenüber wird Intoleranz und Respektlosigkeit praktiziert, dabei sind sie ja nur unterwegs weil in Deutschland doch alles so scheiße ist – anderswo wohl auch.

Ich nehme meine Umwelt viel bewusster wahr. Die deutsche Politik interessiert mich immer weniger, die Weltpolitik dafür umso mehr. Ich sehe an den verschiedensten Orten, welche Auswirkungen Kapitalismus hat, insbesondere wenn er auf dem Rücken der Natur vorangetrieben wird. Konsum und Wachstum als oberste Prämisse, das muss doch irgendwann in die Hose gehen. Mein Unverständnis dem Bösen der Welt gegenüber wächst kontinuierlich, und so leiste ich immer wieder meinen kleinen Beitrag dazu, dass wenigstens mein Karma halbwegs im Lot ist. Mal wird eine Tüte Müll vom Strand oder Seeufer eingesammelt, ich versuche weniger Plastik zu benutzen, weniger Fleisch zu konsumieren usw. Mich großartig politisch bzw. umweltpolitisch zu engagieren, dazu bin ich zu faul – aber im Kleinen kann man durchaus was für die eigene Umweltbilanz tun.

Was ist das Beste an der Rumtreiberei?

Nein, jetzt kommen nicht die tollen Sonnenuntergänge über dem Meer oder dass ich an Orten arbeite wo andere Urlaub machen, immer wieder Neues kennen lerne … es ist das Leben nach meinem eigenen Rhythmus.

Durch den Wegfall von diversen Verpflichtungen und die Anpassung meiner Selbständigkeit an mein nomadenhaftes Leben habe ich eine wichtige Freiheit gewonnen: ich habe meine Verpflichtungen minimiert. Und kann meinen Tag und meine Woche nach meinem eigenen Rhythmus gestalten. Es ist ein zu schöner Tag um arbeitend vor dem Computer zu sitzen? Dann lass es bleiben. Der Tag beginnt schon zu grau um früher als nötig aufzustehen? Dann bleib liegen. Einfach mal keine Lust haben was zu kochen? Dann geh was essen. Es gibt Tage, an denen geht dir Arbeit (oder Hausarbeit) leicht von der Hand, an anderen eben nicht. Und nur, wenn Arbeit positiv belegt ist, wirst du auch was schaffen. Der Ausblick aufs Meer von deinem Arbeitsplatz aus hilft natürlich.

Und was ist so richtig doof?

Es gibt sie nur selten, diese Momente, wo du etwas vermisst. Und es sind eigentlich nur kurze Gedanken, die durch den Kopf ziehen. Der Blick ins volle Spülbecken lässt wehmütige Erinnerungen an deine Spülmaschine lebendig werden. Und nach drei Tagen Regenwetter bei kühlen Temperaturen wäre so eine Stunde in der heißen Badewanne schon was Feines. Doch so richtig doof ist das alles nicht, denn die positiven Dinge wiegen das mehr als genug wieder auf.

Alte Freunde und neue Freunde

Ja, alte Freundschaften schlafen im Laufe der Zeit ein. Zumindest zu Freunden, die ein ganz anderes Leben führen als du selbst. Telefonate wiederholen sich. Deine Freunde haben irgendwie die immer ähnliche oder gleiche Lebenssituation, du aber bist jedes Mal woanders. Sie erzählen von den immer gleichen Problemen, und alles was schlimm ist wird einfach immer noch schlimmer, du aber berichtest von den immer wieder sich veränderten Lebensorten und Reiseerfahrungen. Die Schere ist einfach zu groß, und irgendwann lässt man das mit der Anruferei einfach bleiben. Was nicht tragisch ist, denn Freunde bleiben Freunde, auch ohne regelmäßigen Kontakt.

Dafür ergeben sich neue Freundschafen, und viele Bekanntschaften. Mit Menschen, die deinen Lebensstil nachvollziehen, die eine gleiche Begeisterung wie du dafür aufkommen lassen können. Die meisten kommen und gehen, andere trifft man wieder – per Zufall oder mit Absicht.

Ich denke, dass dies auch ein Vorteil ist, wenn du mit dem Wohnmobil unterwegs bist – anstatt als Backpacker oder Digitalnomade durch die ganze Welt zu jetten. Einige von den Freunden und Bekannten, die wir diesen Winter in Portugal kennen gelernt haben, werden wir auch im nächsten Jahr wieder treffen. Für einen Tag, eine Woche oder einen Monat – wie es eben passt.

Autarkie und Stellplatzphobie

Vor ziemlich genau zwei Jahren habe ich meine Solaranlage geplant – und aus rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten entschieden, dass diese etwas größer ausfallen darf, einfach weil auf Campingplätzen öfters mal stolze drei Euro pro Tag nur für Strom verlangt wird. Da dieser Gedankengang nicht bis zum Wasser gereicht hat, muss ich später, bei meinem 9-Monats-Upgrade, die Wasserkanister von 20l auf 70l umrüsten. Mit Zusatzkanister komme ich so auf 100l Frischwasser, was für eine Person durchaus eine gute Woche reichen kann.

Eine Woche autark sein empfinde ich heute auch als das Minimum. Zumal ich recht schnell eine Wohnmobilstellplatzallergie entwickelt habe. Auf Campingplätzen geht es schonmal weniger beengt zu, gerade in der Nebensaison hast du da meist viel Platz. Aber Wohnmobilstellplätze, an denen kann ich einfach keinen Gefallen finden.


Für alle, die es immer noch nicht mitbekommen haben …

Der im Wohnmobil Lebende, der vielleicht auch noch bloggt, kennt diese typischen Fragen. Wie finanziert man sowas, wo bist du gemeldet, wie machst du das mit der Post, wie bist du krankenversichert, usw. Ich höre nicht auf, mich über einen Teil dieser Fragen zu wundern, werden sie doch meist mit dem Tenor gestellt »Häh, wie soll das denn gehen, das geht doch nicht«. Na, scheinbar doch. Warum denken die Leute, dass man von der Hand in den Mund lebt, nur weil das Zuhause Räder hat? Also hier mal Antwort auf die gängigsten Fragen:

  • Frage: Wo bist du gemeldet?
    Antwort: Nirgends mehr. Habe mich letzten Herbst abgemeldet.
  • Frage: Auf wen ist dann dein Auto angemeldet?
    Antwort: auf mich – erst Auto anmelden, dann Wohnsitz abmelden.
  • Frage: Wie machst du das mit der Post?
    Antwort: mein letzter Wohnsitz ist das Haus meiner Eltern. Mama kümmert sich um die Post.
  • Frage: Und die Krankenversicherung?
    Antwort: 80€ im Monat, Europäische Krankenversicherung
  • Frage: und wie finanziert man jetzt sowas?
    Antwort: Mit arbeiten. Indem man sich was einfallen lässt wie man so ein Leben finanzieren kann. (Lese auch hier)
  • Frage: Aber, aber, davon kann man doch nicht leben?
    Antwort: Hmpf.
  • Frage: ist das nicht zu eng, auf Dauer in so einem Wohnmobil?
    Antwort: Hab einen großen Vorgarten.
  • Frage: Vermisst du nicht eine anständige Dusche?
    Antwort: Nein, ich geh ja täglich baden. Habe gerade einen See im Vorgarten.
  • Frage: Ihr steht immer frei, seid wohl zu geizig um Geld für einen Campingplatz auszugeben?
    Antwort: Nein, das hat mit Geiz wenig zu tun, sondern mehr mit Lebensqualität.
  • Frage: Hast du einen Narkosegaswarner im Auto?
    Antwort: Hmpf.

Was wäre wenn? Das Hätte-Hätte-Fahrradkette-Spiel

Wie würde mein Leben heute aussehen, hätte ich mich 2014 nicht zum Wohnmobilausbau und einem Jahr rumstreunern beschlossen? Was wäre, wenn ich heute immer noch im Schwarzwald leben würde? Was wäre, wenn ich Andre nicht kennen gelernt hätte?

Ganz klar, das Leben im Wohnmobil ist nicht jeden Tag aufregend, Freiheit pur und was sich Tagträumer noch so alles vom abenteuerlichen Leben auf Rädern vorstellen. Es gibt einen Alltag und Routinen, weniger beliebte Aufgaben, Erlebnisse auf die man verzichten kann. Man wird krank, hat einen schlechten Tag, ärgert sich über seinen trotteligen Hund oder über sich selbst.

Du hast Arbeit und Haushalt immer mit dabei, und doch ist so vieles anderes, das für mich die Lebensqualität ausmacht. Das können kleine Dinge sein. So hat mich schon seit Langem kein Postbote mehr morgens um acht aus dem Bett geklingelt. Und längst mähe ich keinen Rasen mehr, nur weil sonst die Nachbarn blöd reden könnten.

Vielleicht hätte ich mir doch ein Haus gekauft, ein neues Auto. Vielleicht auch nicht, denn mein Geld auf ausgiebigen Amazon-Shopping-Touren auf den Kopf zu hauen, das hat die Jahre zuvor ja auch gut geklappt. Vielleicht hätte ich diese und jene Dinge in meinem Leben geändert. Vermutlich jedoch nicht, schließlich war der Antrieb dazu in der Vergangenheit auch nicht besonders groß.

Was ich sicher weiß: Ich habe mich weiter entwickelt, und das wurde nur dadurch möglich, dass ich raus in die Welt bin. Ich bin ausgeglichener, habe mehr gute und weniger schlechte Tage. Es gibt einfach mehr Momente, die ich bewusst erlebe und genieße. Früher blieb dazu einfach keine Zeit. Obwohl es die Zeit schon für gehabt hätte, nur hat man sie sich irgendwie nicht genommen.

Hätte ich diese Reise nicht angetreten, wäre ich heute vielleicht noch genau dort, wo ich vor zwei Jahren war – oder auch nicht. Auf jeden Fall hätte ich Andre nicht kennen gelernt, und alleine deshalb hat es sich auf jeden Fall gelohnt, dieses Ausbrechen. Von den 666 Tagen sind wir jetzt schon 444 Tage zusammen unterwegs. Und ich freue mich schon sehr auf die nächsten 888 Tage 🙂

Wo die Reise uns hinführen wird? Keine Ahnung, Ideen gibt es viele. Aber wir wissen ja noch nicht einmal, wo wir nächste Woche sein werden. Vermutlich an irgendeinem portugiesischen Stausee, wo die Aussicht ebenso schön ist wie an diesem hier. Anders, aber anders schön. Und wenn nicht, dann geht’s einfach weiter. Denn es geht immer irgendwie weiter.

Erst einmal bleiben wir aber vermutlich noch ein paar Tage hier stehen. Warum? weil es schon geil ist hier:

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