„Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“. Dieses alte Deutsches Sprichwort klingt in den Ohren derer, die unter ihrer Aufschieberitis leiden wie etwas, das sie zwar als Leitlinie in ihrem Leben setzen möchten, doch immer wieder daran scheitern. Doch wann wird das Aufschieben zur Prokrastination, zur Arbeitsstörung, also zur chronischen Aufschieberitis? Die Grenzen sind in der Psychologie nicht klar definiert.


Buchhaltung machen oder Weihnachtsgeschenke kaufen, immer auf den letzten Drücker – sicherlich steckt manchmal einfach nur Zeitmangel bzw. fehlerhaftes Zeitmanagement dahinter. Unliebsame Dinge aufschieben bis kurz vor (oder nach) einer Deadline, in der Zwischenzeit so manches Unwichtiges erledigen… Dies wird dann zur Prokrastination wenn es dauernd geschieht. Wenn man sich (mehrmals) täglich dessen bewusst ist, dass etwas erledigt werden sollte, es jedoch immer wieder „Besseres“ zu tun gibt. Aufgeschobene Dinge sind meist unliebsame Aufgaben. Deren Erledigung versprechen kein allzu großes Erfolgserlebnis, oder sind einfach nur langweilig, nervig. Je nach Deadline werden sie Tag um Tag nach hinten verschoben. So lange, bis es schon (fast) zu spät ist. Das Problem: die Aufgabe wird dann vielleicht nicht mit der nötigen Sorgfalt erledigt, da man letztendlich unter Zeitdruck steht. Das andere Problem: diese eine Aufgabe kommt jeden Tag neu auf den Tisch, man befasst sich mit ihr immer wieder, ohne sie konsequent anzugehen. Wer dies kennt, sollte sich seiner Prokrastination langsam bewusst werden, herausfinden, inwiefern eine ernst zu nehmende Arbeitsstörung vorliegt, das Aufschieben pathologisch ist.


Passendes Zitat von Sir Peter Ustinov:

„Die Menschen, die etwas von heute auf morgen verschieben, sind dieselben, die es bereits von gestern auf heute verschoben haben.“


Prokrastination als neue Volkskrankheit

Wir kennen Diabetes oder Rückenschmerzen als typische Volkskrankheiten. Psychologische Krankheitsbilder wie Burnout oder Depression finden nur langsam Anerkennung. Prokrastination als psychologische Erkrankung hingegen hat noch keine richtige Relevanz in der Psychologie, auch wenn dies langsam anders wird. Denn Folgen einer chronischen Aufschieberitis können enorm sein: Studenten brechen vermehrt ihr Studium ab, aufgrund ihrer mangelnden Fähigkeit, ihr Lernen adäquat organisieren zu können. Generell hat Prokrastination Auswirkungen auf die Produktivität: wenn weniger Wichtiges erledigt wird, sondern irgendwas anderes, unwichtige Kompensationsaufgaben. Wenn Aufschieben Energie verbraucht, ohne dass hierbei etwas Produktives bei rauskommen kann.

Doch warum ist dieses teilweise krankhafte Aufschiebeverhalten inzwischen so weit verbreitet? Vermutlich gibt es mehrere Ursachen, welche chronisches Aufschieben nach und nach bewirkt haben. Aufschieberitis ist ein wenig wie Arthritis: eine Diagnose ist irgendwann da, doch es gibt keine einzelne Ursache, kein verursachendes Ereignis. Wie bei den meisten chronischen Krankheiten, egal ob physiologisch oder psychologisch: es wird langsam schlimmer, bis es offensichtlich, unleugbar wird.

Aufschieberitis Prokrastination bekämpfen
Prokrastination macht unglücklich

Aufschieberitis hat in Augen anderer etwas mit mangelndem Zeitmanagement zu tun. Doch gerade dies kann erst zur Ursache werden. Wenn Todo-Listen überhand nehmen, Alltag und Leben endlos verplant werden, kommt es irgendwann unweigerlich zum Aufschieben. Es ist also eher falsches Zeitmanagement. Wer nie gelernt hat Prioritäten zu setzen, seine Zeit sinnvoll zu nutzen, Aufgaben zu delegieren, zeitfressende und unproduktive Tätigkeiten aus seinem Alltag zu verbannen, kann irgendwann einmal zu dem Punkt kommen, an dem die Matrix quasi explodiert. Es einfach normal geworden ist, Aufgaben vor sich herzuschieben. Doch ab welchem Zeitpunkt wird dieses Aufschiebeverhalten kritisch, so dass man sich für seine Prokrastination Hilfe besorgen sollte?

Bei Prokrastination Therapie machen?

Auch wenn Prokrastination sich als psychologische Erkrankung noch nicht etabliert hat ist es möglich und sinnvoll, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Irgendwann sind eigene Möglichkeiten der Selbstmotivation ausgeschöpft um seiner Arbeitsstörung Herr zu werden, manchen droht vielleicht sogar eine handfeste Depression. Einfach deshalb, weil sie das Gefühl haben, einfach nichts hinzubekommen. Aufschieben wird zu einem bestimmenden Faktor des eigenen Lebens. „Ich sollte das jetzt tun“, „morgen muss ich dies jetzt aber unbedingt machen“. Morgens aufstehen, sich etwas ganz fest vornehmen, tagsüber mehrmals daran denken, abends im Bett liegen und über sich selbst ärgern dass es doch wieder nicht getan wurde. Wenn dies täglich geschieht wird es irgendwann zur psychischen Belastung, einhergehend mit Selbstzweifeln, sinkendem Selbstbewusstsein. Wenn ich es einfach nicht gebacken bekomme selbst einfache Aufgaben zu bewältigen, was bin ich dann noch wert? Da können selbst große Taten verblassen, im Fokus stehen das nicht Erledigte.

Wo hört die Prokrastination auf, wo fängt die Depression an? Und was war als Erstes da? Die Grenzen verschwimmen.

„TU ES EINFACH!“, – leichter gesagt als getan. Selbstmotivation läuft ins Leere, mit anderen über sein Problem zu reden nützt oftmals ebenfalls nicht. Denn Verständnis für Prokrastination ist Mangelware. Kaum einer hat davon gehört, dass Aufschieberitis zur psychischen Belastung werden kann. Viele halten es für Luxusproblemchen. Eine Therapie kann hier schon eher zum gewünschten Erfolg werden.

Welche Ursachen hat meine Prokrastination, wie kann man anfangen und vorgehen, um das in den Griff zu bekommen? Ein erfahrener psychologischer Berater kann dabei helfen. Er weiß auch, dass solch ein chronisches Aufschieben für den Einzelnen belastend sein kann. Allein dieser Umstand kann eine Hilfe darstellen: Sein Leid von der Seele reden, wissend, dass meine Probleme verstehen werden.

Diagnose Aufschieberitis: ist mein Aufschiebeverhalten noch normal?

Eigentlich ist ein Selbsttest unnötig. Wer unter seiner Prokrastination leidet hat ein Problem, das angegangen werden muss. Doch viele sind sich nicht bewusst darüber, dass sie Aufgaben vielleicht zu häufig aufschieben. Hier kann dieser Selbsttest für Prokrastination der Uni Münster erste Hilfe zur Selbstdiagnose anbieten.

Prokrastination bekämpfen: Therapie hausgemacht

Den Kopf wieder frei bekommen
Den Kopf wieder frei bekommen

Ich bin kein Mediziner oder Psychologe, doch ein Fan davon, meine psychologischen wie physiologischen Unzulänglichkeiten so weit wie möglich / sinnvoll selbst anzugehen. So auch meine eigene Aufschieberitis. Starten wir mit der Selbstdiagnose: Trifft die Diagnose Prokrastination auf mich zu? Ja. Im privaten wie beruflichen Bereich erledige ich unliebsamere, darunter auch wichtige Aufgaben gerne auf den letzten Drücker. Mache gerne andere Sachen, welche aber kaum wirklich dringend oder wichtig sind. Im ersten Schritt sollte eine Analyse vorgenommen werden: welche Aufgaben schiebe ich immer wieder vor mir her, welche belasten mich daher besonders? Dies können unangenehme Anrufe oder Termine sein (Zahnarzt, Steuerberater, …) oder langweilige Pflichtübungen (Haushalt, Buchhaltung, …) oder Dinge, welche man weniger gut kann, bei denen nach Erledigung der Aufgabe kein Erfolgserlebnis zu erwarten ist (Weihnachtsgeschenke einkaufen, … ). Und so weiter. Nehmen wir doch ein praxisnahes Beispiel: ich schiebe Haushaltstätigkeiten gerne vor mir her: Staubsaugen, putzen, aufräumen, Wäsche machen. So geht es vielen.

Analyse:

  • Wie oft pro Tag / Woche / Stunde denke ich mir: das müsste ich jetzt tun. Beispiel: Man könnte mal wieder das Bad putzen, den Staubsauger durchs Büro schieben, die Kaffeemaschine entkalken, den Gefrierschrank enteisen, diese Blusen bügeln …
  • Wie oft pro Tag / Woche / Stundefange ich etwas an, mache es nicht zu Ende, weil mir plötzlich was besseres zu tun einfällt? Beispiel: Mülltüte steht an der Wohnungstür, nur zwei Fenster sind geputzt …
    Immer wieder praktiziere ich das Prokrastinieren wenn es um den Haushalt geht. Ich bin keine Superhausfrau, werde niemals eine werden. Mein Ziel: möglichst wenig Zeit mit diesen Tätigkeiten zu verbringen. Doch wie wird es machbar, mich davon zu befreien, mich immer wieder über mich selbst ärgere, dass dieses putzen, aufräumen, wischen, waschen weniger Platz in meinem Alltag und in meinem Kopf einnimmt? Denn genau das ist ein großes Problem der Prokrastination: Unwichtige Dinge rücken in den Fokus, alleine dadurch, dass man sie immer wieder vor sich herschiebt. So erlangen sie mehr Bedeutung als ihnen überhaupt zusteht.

Lösung:

  • Wiederkehrende unliebsame Tätigkeiten zur Routine werden lassen. Nur noch einmal pro Woche den Haushalt machen. Dieser muss nicht perfekt sein, sondern einfach nur gemacht werden. So habe ich es für mich so eingerichtet, dass alle Haushaltsarbeiten ausschließlich am Sonntagnachmittag + -abend erledigt werden. Erst werden Wasch- + Spülmaschine angeworfen, die dreckigsten Fenster geputzt, Staub gesaugt. Dinge, die erledigt werden müssen solange es draußen noch hell ist. Dann kommen die restlichen Tätigkeiten dran: Bad putzen, Büro aufräumen, Küche auf Vordermann bringen. Was bis Sonntag, Bettgehzeit, unerledigtes hat Pech gehabt. Muss bis nächsten Sonntag warten.
  • Zeitrahmen + Top 3 Aufgaben setzen: Priorisierung. Egal, was ich an diesem Sonntag noch so vorhabe, drei Tätigkeiten müssen am Abend abgehakt sein. Jede Woche werden daher bis Mittags drei Jobs klar definiert. Fürs Erfolgserlebnis müssen nur diese Aufgaben erledigt sein. Aber Vorsicht: „Fenster im Büro putzen“, eine machbare Tätigkeit mit übersichtlichem Zeitaufwand. Eine Aufgabe wie „Kleiderschrank ausmisten“ kann alleine schon den halben Tag in Anspruch nehmen bei manchen Menschen. Da dürfte ein Scheitern, weiteres Aufschieben, schon fast vorausprogrammiert sein.

Mein Lösungsweg ist freilich nur ein Beispiel, soll aufzeigen wie meine Lösung aussieht. Halte es so einfach wie möglich, denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass detailliert geplante Prozesse, ausführliche Todo-Listen, aufgedröselt in kleinen Schritten eher kontraproduktiv sind für mich. Viele einzelne kleine Aufgaben kann man ganz wunderbar vor sich herschieben. Das kann aber bei anderen durchaus funktionieren. Genau darauf möchte ich hinaus: jeder muss selbst herausfinden was funktioniert. Jede Prokrastination hat ihre eigenen Ursachen, ebenso vielfältig sind Therapie Möglichkeiten. Auch Psychologen arbeiten hier oftmals ähnlich. Sie möchten ihrem Patienten keine Vorschläge machen wie er was wann tun sollte. Sie möchten ihm vielmehr dazu verhelfen, selbst eine Lösung für seine Arbeitsstörung zu finden. Man muss selbst drauf kommen damit der Aha-Effekt seine Wirkung entfalten kann. Ganz gleich, ob man seine Prokrastination mit professioneller psychologischer Hilfe oder in Eigenregie in Angriff nimmt. Ziel ist, dass die Arbeit getan wird. Ohne, dass pathologisches Aufschieben zur psychischen Belastung und Depression zur Abeitsstörung wird.

Depression und Prokrastination

Ist die Aufschieberitis eine Antriebslosigkeit, eine Disziplinlosigkeit, oder könnte deine Prokrastination auch ein Symptom einer Depression sein? Mache Dir doch auch darüber Gedanken. Ist das Aufschieben von bestimmten Tätigkeiten ein Anzeichen dafür, dass etwas grundsätzlich nicht stimmt, in Deinem Leben? Schiebst du irgendwelche Aufgaben in deinem Kopf von links nach rechts, damit Du dir keine Gedanken über die wirklich wichtigen Probleme machen musst? Wenn du selbst keine Antworten findest, dann frage einen Profi – denn der weiß vielleicht, welche Fragen zu stellen sind.

Und nun das Schlusswort:

Das Ziel beim Bekämpfen der Prokrastination ist es nicht nur, wichtige Dinge erledigt zu bekommen. Es geht vor allem auch darum, den Kopf frei zu bekommen.


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