Bereits letztes Jahr im Sommer wollte ich diese Bikepacking Tour im östlichen Portugal schon machen, doch ich wurde unterbrochen – von der Gesundheit und einer fiesen Hitzewelle. Gut, dann also dieses Jahr – und gerne, bevor das mit den krassen Hitzewellen wieder los geht. Die erste lassen wir passieren, dann geht es los. Dieses Mal mit anderen erschwerten Bedingungen: mit normalem Mountainbike statt E-Bike.

Das E-Bike hat nämlich Vorzüge, aber auch Nachteile. Vorteilhaft ist, dass man nicht alles planen muss. Einfach die Fahrrad-Navi-App anschmeißen, der Technik sagen wo man hin will, welche Straßen man (nicht) fahren möchte, und ab dafür. Wenn es allzu fies wird, wird einfach der Motor hochgedreht. Und fies kann es werden, wer sich schonmal in einer portugiesischen Eukaplantage auf den dortigen Forstwegen verfahren hat, der weiß was ich meine.

Die Nachteile des E-Bikes überwiegen meiner Meinung nach, zumindest im Rahmen einer Bikepacking Tour. Erstens ist ein vollbepacktes E-Bike echt schwer – bei unseren Rädern macht der Gewichtsunterschied zwischen E-Mountainbike und normales Mountainbike stolze 10 Kilos aus. 37 oder 47 Kilos, das macht einen Unterschied, der auch gleich zum nächsten Nachteil führt: du brauchst den Motor. Geht der „plötzlich“ nicht mehr, weil der Akku alle ist, dann biste angeschmiert. Zumindest, wenn du in so mittelgebirgigen Gegenden rumfährst wie wir es tun. Damit der Akku nicht leer läuft, sollte man ihn bei jeder Gelegenheit nachladen. Bei mir wäre das nach spätestens zwei Tagen. Also fuhr ich die Tour letzten Jahres immer mit dem Ladezustand des Akkus im Blick. Ganz ehrlich: das ist mir eigentlich zu blöd, da hab ich kein Bock drauf. Also normales Fahrrad. Das tut bei den ersten Fahrten schon weh, aber dann gewöhnt man sich wohl an den Schmerz. Oder der Körper gewöhnt sich an die Belastung. Da bin ich mir noch nicht sicher.


Tag 1: Sabugal bis Seixo da Côa

Von der Quinta Prazera nach Sabugal (und ein Stück weiter), das bin ich ja letzten Sommer bereits gefahren. Und wohl wissend, dass die Höhenmeter ohne Motor noch fieser sein würden, skippen wir das heute mal. Und da das jährliche Kaffeekränzchen mit dem KastenInBlau ansteht, passt das auch wunderbar – und wir bekommen einen sehr leckeren Zitronenkuchen serviert. Zum Nachtisch gab‘s ein Eis.

Und ich packe nochmal ein bisschen um und ein paar Kleinigkeiten ein. Insbesondere meine Reiseapotheke ist vermutlich etwas zu umfangreich. Aber ich bin werde auch wirklich so dermaßen in der Pampa unterwegs sein, da heißt es bei Wehwehchen ohne greifbare Apotheke dann einfach „besser haben als brauchen“.

Ohne Gepäck wiegt das Radl übrigens ca. 16 Kilos, mit Gepäck ungefähr 38. Ja, das können andere Bikepacking Experten deutlich leichter gestalten, sie sind dann mit eher 15 statt 22 Kilos an Gepäck unterwegs. Aber mit Tablet, Solarpanel und knapp 4 Liter Wasser ist es nunmal so. Auch muss man sagen, dass man sicherlich ein super leichtes Zelt kaufen kann, das dann auch 500 Gramm weniger wiegt – dafür aber 500 Euros mehr kostet. Mhm …

Bei frostigen Temperaturen fahre ich am nächsten Morgen vom See los.

Und erstmal in die Stadt, nach Sabugal. Doch ich brauche hier nichts, habe Essen für die ersten 2 Tage dabei. Für heute, weil heute Sonntag ist und die kleinen Läden zu haben. Für Montag, weil so eine Packung Spaghetti und auch ein Glas Pesto nunmal zwei Tage hält.

Die Tour geht also entlang des Rio Côa – zumindest, so oft wie möglich. Das heißt, es sind primär unbefestigte Wege. Ich mache keine Kilometer, dafür ein paar Höhenmeter mehr. Und versuche dabei, mich auf den typisch portugiesischen Feldwegen nicht aufzumaulen.

Das klappt am ersten Tag, und das, obwohl ich mir bei der Routenplanung alle Mühe gebe, bereits den Start dieser Tour zur Katastrophe werden zu lassen.

Ich wähle also die malerische Route. Feldwege, Schotterpisten, Wanderwege, oder auch mal 2 Kilometer Kopfsteinpflaster.

Ich komme durch kleine Dörfer und schaue an jedem Praia Fluvial, ob die Kneipe offen hat. Das ist auch bei den aktuellen Temperaturen keine Selbstverständlichkeit. Denn die Badesaison hat vielerorts noch nicht ofiziell begonnen, und so tummeln sich an diesen Flussbadestränden oftmals nur ein paar Teenager. Doch ich habe Glück, und komme so heute auf immerhin zwei Kaffee, und ein kühles Getränk, das ich mit an die Staustufe nehme – Zeit für eine Pause.

Dann wird es abenteuerlich: meine Motivation, die zwei Kilometer Kopfsteinpflaster von eben wieder rauf zu fahren, hält sich in Grenzen. Doch der einzige Weg am Fluss entlang ist ein Wanderweg. PR8 oder so. Und irgendjemand hat den erst kürzlich gemäht. Na das nenne ich mal eine Einladung. Und da in drei Kilometern wieder ein normalbreiter Weg kommen soll, hört sich das nach einer super Idee an.

Es kommt, wie es kommen muss: wer sein Fahrrad liebt, der schiebt. Denn „Trilho“ heißt sowas wie Pfad. Also Trampelpfad.

Aber schön ist es hier. Sehr idyllisch.

Wer sein Rad noch mehr liebt, der trägt es. Macht die Packtaschen ab, um erst diese über den Fluss zu bringen, und erst dann das Rad.

(Aprecia a paisagem = Genieße die Aussicht!)

Vor dem Schild übrigens ein paar große Steine, über die ich das Rad erstmal drüberwuchten muss, um es durch das Wasser schieben zu können. Hier im Übrigen ein technisches Detail: Die Kette ist gewachst, und nicht geölt. So eine Bachdurchfahrt macht also viel weniger aus.

Man wechselt auch 3x auf Badelatschen, wegen irgendwelchen Flussdurchquerungen. Wanderer mit einem Mindestmaß an Gleichgewichtssinn kommen so über die Steine, ich mit dem Fahrrad aber nicht.

Ein Vorteil hätte das E-Bike ja: die Schiebehilfe. Ohne Weg bergauf, das ist mit voll bepacktem Rad und bei inzwischen knappen 30 Grad ja schon bissle blöd zu schieben.

Aber schön isses hier!

Ja gut, ist halt eine Mountainbike Tour. 6,5 Stunden für 35 Kilometer, da lacht der Rennradler oder Gravelbiker oder E-Bike-Fahrer. Aber ihr alle hättet bei dieser Route voll verschissen, mit euren Reifen, so dünn wie Trennscheiben. Das einzige Feature, das ich heute übrigens etwas vermisst habe, das beim E-Bike einfach Gold wert ist: die Schiebehilfe. Denn wenn es so fies steil wird, dass man diese gut gebrauchen könnte, dann ist man eigentlich schon genug damit beschäftigt sich selbst den Berg hochzuwuchten. Ein voll bepacktes Rad ist da echt unschön.

Die sportliche Passage ist geschafft, nun geht es noch etwas auf dem normalen Wanderweg weiter. Herrlich zu fahren.

Der ist mal gemäht, und mal nicht. Das güldene Gras hier ist zwei Meter hoch und scheint hier invasiv zu sein. Jeder nicht bewirtschaftete Acker ist voll damit.

Aber es ist immer gut ausgeschildert.

Und zwischendurch kommt man an ein Dorf mit einer Kirche auf dem Hügel vorbei.

In wirklich JEDEM Dorf hier gibt es übrigens auch Wasser. Überall gibt es Wasserhahnen. Meist ist es Quellwasser, manchmal auch nur einfaches Leitungswasser. Oft steht zwar sowas wie „Nao controlada“ dran, aber das juckt mich nicht. Habe bisher noch alles vertragen.

Es ist später Nachmittag, ich suche nach einem Übernachtungsplatz. Denke, ich werde bei einer alten, römischen Brücke mit Grillplatz fündig.

Erhole mich, esse was, bin aber zunehmend unglücklich über diese Platzwahl – es ist zu viel los, und der Fluss ist hier zwar hübsch anzusehen, aber recht laut. Also packe ich dann doch noch zusammen, und fahre ein paar Kilometer weiter. Im nächsten Ort gibt es einen Praia Fluvial. Hier ist aber Party, und für portugiesische Partymusik bin ich definitiv zu nüchtern. Es gibt noch einen zweiten Platz am Bach, mit schöner Wiese, Kneipe, und sogar einem Sanitärhäuschen. Ich warte und telefoniere mit meiner häuslicheren Hälfte, bis die Kneipe endlich zu macht und das Rumgeschreie der alkoholisierten Herrschaften aufhört – einer nach dem anderen steigt in sein Auto und fährt auf hoffentlich direktem Weg nach Hause.

Nun bin ich alleine. Nur ich, und Krebsie.

Ich schaue noch eine Stunde Netflix. Denke mir dabei schon, der Schlafsack könnte etwas zu dünn sein, und lasse den Wollpulli an. Zwei Stunden später weiß ich es gewiss: er ist zu dünn. Die Nacht gestaltet sich also recht frostig, geht aber, nachdem ich mir das nicht aufgebaute Zelt um den Schlafsack wickle. Am nächsten Morgen bin ich ganz früh Wach, so gegen 6 Uhr packe ich zusammen. Um zu schauen, ob das Sanitärhäuschen offen ist. Es ist. Und ist anscheindend beheizt. Wenn ich das gewusst hätte, ich hätte aufm Klo geschlafen. Aber gut, eines habe ich heute hinzu gelernt: nicht direkt am Rio Côa schlafen. Denn im Tal ist es einfach kälter, und am Morgen ist alles triefnass.


Tag 2: Foda-se!

Nun könnte man meinen, dass dieser Tag etwas „durchwachsen“ ist, weil ich nicht wirklich viel geschlafen habe. Nein, das ist es nicht. Der Tag fängt damit an, dass ich voll in die tiefstehende Sonne fahre. Und eigentlich nichts sehe. Gut, ein paar Brombeerkratzer mehr am Schienbein, was soll‘s. Der Weg ist eh scheiße. Der Typ mit der Motorsense hat es wohl aufgegeben. Ich schaffe es nicht, mich trotz aller Auswaschungen aufzumaulen. Da halte ich mal an, weil ich bin echt geschafft, Zeit für ein kleines Frühstückchen. Da höre ich es schon pfeifen. Na super. Ein Mikroloch in der Flanke des Hinterrades. Gut, unsereins fährt ja genau wegen sowas Tubeless. Also das Rad so auf die Seite gelegt, dass die Milch ans Loch kommt und es verschließt. Funktioniert, es hört auf mit Pfeifen. Und ich ahne schon den nächsten Muskelkater daherkommen, denn ich brauche 200 Hübe mit der Miniaturluftpumpe, bis der Reifendruck wieder fein ist.

Und nein, ich habe das nicht fotografiert. Wie ich heute wohl generell etwas zu selten fotografiert habe. Ich gelobe Besserung.

Drei Kilometer weiter komme ich wieder auf eine geteerte Straße – und die Odyssee möge beginnen. Erstmal geht die Straße verdammt steil nach oben. Endet in einem Dorf, in dem ich weder ein Café noch einen Minimercado finde. Gut, ist eh noch zu früh. Jetzt schon aus dem vorletzten Loch pfeifend sitze ich auf dem Dorfplatz neben dem Wasserhahn und unterhalte mich mit einem Franzosen in feinstem Franzöportugisch. So halb-halb. Er empfiehlt mir noch eine Route, aber ich glaube er hätte mich in die falsche Richtung geschickt. Ich fahren also weiter. Immer weiter den Berg hoch. Alle 10 Minuten halte ich an. Ich brauche meine Kopfhörer. Sie gehen nicht. Ich stecke Strom ein, fahre weiter. Dann brauche ich dringendst Sonnencreme. Irgendwie geht nichts, ich brauche einen Apfel. Dann nochmal die Kopfhörer – endlich. Die Straße ist derweil mal richtig übel, der Teer ist alt und löchrig, manchmal auch Waschbrett. Wie bekommt man Waschbrett im Teer hin? Ach, egal.

Ich erreiche das Dorf „Jardo“. Von hier aus geht laut Komoot (das ist ne Fahrrad-Navigationsapp) ein Feldweg oder sowas bis zur nächsten Straße. Ja, irgendwann vielleicht mal. Jetzt aber eher nicht mehr, und der Bauer hat auch noch ein fettes Gatter über den Weg gezogen. Also keines von diesen Selbstbedienungsgattern, die man nach dem Durchgehen wieder schließt. Sondern so ein richtig schweres, fettes Ding, das ich nicht weg bekomme. Also drehe ich erstmal um, und sitze mich im Dorf auf ein Bänkchen. Und studiere die App. Und Google Maps. Und ahne es langsam: ich sitze voll in der Scheiße. Das Dorf hier ist eine Sackgasse. Dafür, dass hier keiner ist, ist es übrgens nett hergerichtet. Zwei Hundertjährige und zwei Autos habe ich bisher gesichtet, dazu ein paar Hunde und unendlich viele Hundekackhaufen.

Auf dem Weg raus aus dem Dorf kommt mir ein älteres Pärchen mit Hund und Eselskarren entgegen. Sie rufen nach ihrem Zweithund, der ist irgendwie verschwunden. Kommt mir bekannt vor. Ich frage die Dame, mit der ich mich ganz wunderbar auf portufranisch (Mix aus Portugiesisch und Französisch) unterhalten kann, ob sie eine Idee hat, wie ich aus der Nummer wieder rauskomme. Sie bestätigt meine Befürchtung: ich muss wieder zurück ins letzte Dorf. Wo ich vor zwei Stunden losgefahren bin. Das ist nun aber schon blöde. Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass es zwar noch nicht Mittag ist, aber durchaus schon wieder 30 Grad hat?

Nach nochmaligem eingehenden Studium von Google Maps entschließe ich mich dafür, einen Versuch zu wagen. Eine Piste, die an die Bahngleise führt, und dann müsste ich nur noch 500 Meter die Bahngleise entlang bis zur Straße. Oder so. Darf man zwar nicht, aber machen können tut man das schon. Es ist dennoch ein riskantes Unterfangen, denn die Piste führt hinab ins Tal. Und wenn das alles blöd endet, ist auch das eine Sackgasse.

Und ganz ehrlich: das wäre locker und gefahrlos gegangen. Die nigelnagelneuen Bahngleise haben sogar eine Fußgängerspur. Das Blöde ist nur: die Bauarbeiter sind heute alle da. Ich frage den Chefe, ob das irgendwie geht. Er verneint. Tja, und ab hier habe ich es total verschissen. Weil ich den einen fiesen Anstieg zurück zum Dorf vermeiden wollte, habe ich jetzt zwei Anstiege vor mir. Also ungefähr eine Stunde lang das Fahrrad hochschieben. In neuen Schuhen, die nicht zum Wandern gedacht waren, und auch kaum für steile, ausgewaschene Schotterpisten geeignet sind. Geht aber – und ich muss auch nur eine halbe Stunde schieben, danach komme ich wieder auf den Hauptweg zurück und fahre.

Zurück in dem Dorf, in dem ich bereits vor zwei Stunden war, habe ich nun die Wahl: Cholera oder Pest. Links oder rechts am Bach antlang? Ich entscheide mich für den etwas kürzeren Weg, muss dafür aber nochmals runter zum Rio Côa, und auf der anderen Seite nochmal hoch. Ein Anstieg des Grauens. Geteert, kerzengerade, und stetig geht es nach oben.

Ja, von der ganzen Nummer fehlen die Fotos. Mea culpa. Die sind der Gesamtsituation zum Opfer gefallen. Stellt euch einfach eine kerzengerade, ansteigende Straße vor, ohne einen Baum am Straßenrand, der Schatten spenden könnte.

Oben angekommen, rein ins nächste Dorf. Einen Minimercado werde ich nicht finden, denn es hat Mittagspause. Die Zeit also, in der so manch ein Portugiese gerne ein Bierchen zischt. Ich finde den Ortskern, es hat lauter Tische aufm Dorfplatz. Nur das dazugehörige Café, das hat zu. Ich überlege noch, was als nächstes zu tun ist, ob vielleicht auch jemand Einheimisches vorbei gelatscht kommt. Da fährt einer mit dem Pickup daher, stellt ebenfalls fest, dass das Café zu hat, steigt wieder ein und verschwindet in einer Gasse. Der weiß doch was! Ich also Helm auf und hinter ihm her. Und drei Gassen weiter sehe ich ihn wieder. Ihn und ein Traktor, der vor der geöffneten Kneipe parkt.

Schau, man muss nur lange genug warten, dann wird alles gut! Den Kaffee gibt es als Soforthilfe, das kalte Sumol (portug. Fanta, nur besser u. mit weniger Zucker) wird eingepackt, und mein derzeitiges Lieblingseis wird draußen auf dem Bänkle geschlotzt.

Mein aktuelles Ziel liegt hinterm Dorf: Eine „Nossa Senhora da Irgendwas“. Ein Gebäudekomplex, in dem einmal im Jahr eine große Party steigt, zu Ehren der hiesigen Nossa Senhora.

Doch das restliche Jahr über ist normalerweise nichts los. So auch hier. Die Toiletten sind leider zu, aber ich habe einen Wasserhahn gefunden. Schmeckt nach frischem Quellwasser. Und das große Zelt, das nehme ich auch gleich. Diese Nacht wird nicht gefroren! Das stelle ich mir aktuell tatsächlich auch schwierig vor, denn mein Kopf glüht. Diese heutige Tour mit knapp 600 Höhenmeter in knalliger Sonne, das war wohl etwas viel. Trotz mehrmaligem Auftragen von Sonnencreme – mir scheint, dass diese zu schnell wieder vom Gesicht geschwitzt wird, bei diesen fiesen Anstiegen hier.

So verwerfe ich auch meinen Plan am Spätnachmittag noch ein Stück zu fahren – und bleibe einfach hier. Netflixen und Blogschreiben, zwischendurch ein paar Sprüher von dem Aloe Vera Spray ans Gesicht,das reicht nach einem anstrengenden Tag als Abendbeschäftigung. Das Aloe Vera Spray sollte sich übrigens als wichtigstes Feature meiner Reiseapotheke erweisen. Gefühlt hat es mich jeden Tag aufs Neue vor einem Sonnenbrand des Todes gerettet.


Tag 3: Kilometer schrubben

Sie ist ja schön kurzweilig und abwechslungsreich, meine unkonventionelle Routenplanung. Aber wenn ich so weitermache, dann komme ich nicht am Ziel an, ehe mir der Arsch brennt. So viel Sattelzeit, für gerademal 35 Kilometer oder so … Das Ziel dieser Bikepacking Tour heißt „Vila Nova de Foz Côa“. Das ist da, wo der Rio Côa in den Rio Douro mündet. Die ursprüngliche Idee, danach vielleicht nach ein Stück weiter zu fahren, verwerfe ich jetzt schon. Wenn mich die Anstiege am Rio Côa schon schlauchen, dann werden die am Rio Douro mal richtig fies. Reicht auch, wenn der Arsch glüht, und nicht brennt. Mein Ziel lautet also: ankommen, ehe der Arsch Feuer fängt.

Also plane ich etwas um. Zumal man ohnehin hier kaum am Bach entlang fahren kann. Also fahren wir mal geteerte Straße. Bissen Landstraße, bisschen Bundesstraße, dazwischen zwei Städtchen mit Sightseeing-Potential, und eine Mittagspause am See.

Es geht früh los. Um 6:30 Uhr werde ich wach. Wach wird man hier von selbst, der vielen Vögel sei dank. Ab Morgendämmerung proben sie den Aufstand, da schläft man nicht mehr. Okay, außerdem höre ich Schritte, irgendein Opa schlappt übern den Hof. Geht aber wieder. Das Fertigmachen und Zusammenpacken dauert genau 22 Minuten, und los geht es. Also Zuhause brauche ich schon die ersten 20 Minuten für den ersten Kaffee, und dann geht immer noch nicht viel. Hier aber bekomme ich meinen ersten Kaffee nicht vor 9 Uhr, und auch dafür muss ich erstmal einen Kaffeedealer finden. Beim Wegfahren werfe ich noch meinen Müll in die Tonne an der Straße, da grüßt mich der bettflüchtige Opa von vorhin aus seinem Vorgarten heraus. Wäre ich so früh morgens kommunikativer, ich hätte hier einen ersten Kaffee abstauben können.

Es geht weiter nach Norden, und ich fahre schön artig auf der geteerten Straße. Unter der Autobahn nahe Vilar Formoso durch, das pitoreske Dorf Castelo Bom lasse ich links liegen.

Mein Ziel ist Almeida. Erst Supermarkt und Kaffee, dann endlich was frühstücken. Denn inzwischen ist es fast 9 Uhr, und die ersten Höhenmeter sind schon geschrubbt. Allerdings mit eher nicht so viel Elan.

Frühstück gibt es in einem kleinen Park im historischen Ortskern.

Der ist – und das ist das touristische Highlight der Stadt – von einer sternförmigen Befestigungsanlage umgeben. Der Park ist knuffig, es gibt einen kleinen Springbrunnen mit Bänkchen, und zwei rumlaufende Hunde. Einer ist neugierig aber schüchtern, und fällt vor lauter Neugierde und Schüchternheit erstmal ins Wasser. Drei Runden dreht er, und ich mache mich schon bereit, ihn am Nacken aus dem Wasser zu ziehen. Da schafft er es doch von selbst.

Wunderbar, kann ich meine portugiesischen Energieriegel weiter futtern. Es gibt zwei Pasteis de Nata, dazu Kaffee.

In Almeida gibt es auch ein Museum und ein paar andere beschilderte Anlaufpunkte für Touristen. Ich fahre jedoch nur einmal drumherum, und dann weiter.

Mein nächstes Zwischenziel, für die Mittagspause: Ein Stausee. Denn nach zweieinhalb Tagen auf dem Rad könnte ein erfrischendes Bad im See eine feine Sache sein. Zumal der Rio Côa ja eher nichts für Warmduscher ist.

Ich biege also ab, auf einen Feldweg, der mich an den See führen möchte. Dass dieser Weg ziemlich zugewachsen ist, Schwamm drüber. Es hat sogar eine Beschilderung für einen Mountainbike-Trail.

Super, hier bin ich richtig. Am See angekommen, verspüre ich durchaus eine gewisse Frustration: der Bauer hat seinen Weidezaun einmal komplett über den Weg gespannt. Richtig fieser Stacheldraht.

Gut, umkehren ist keine allzu große Option, ich versuche mich durchzuschlagen. Ist ja nur ein Kilometer, immer schön den Stacheldraht entlang, bis zur Staumauer. Und ich sehe auch platt getretenes Gras, hier hat erst kürzlich Jemand das gleiche Problem gehabt. Ich folge der Grasspur, durch Brombeeren und Ginster. Ein bisschen kratzig, aber machbar.

Dann MUSS ich einmal durch den Stacheldraht. Der ist bockig, lässt sich nicht weit genug wegbiegen. Also Gepäck alles runter, über den Zaun geschmissen, und das Fahrrad quasi wagerecht durch den Zaun geschoben. Der Vorteil von so einem Fahrradhelm ist übrigens auch, dass man sich keine bösen Verletzungen am Kopf holt, wenn man dem fiesen Stacheldraht zu nahe kommt.

Noch eine Furt, und dann schaffe ich es tatsächlich, ich bin an der Staumauer. Und weil ich ja weiß, dass es von der Staumauer immer gute Wege zur nächsten Straße gibt, relaxe ich, mache Mittagspause, gehe baden. Die Sonne kommt jetzt auch mal raus, und direkt wird es warm. Ist auch besser so, denn der See selbst ist wirklich sehr frisch.

Und ich schau auf Google Maps, wo ich denn gelandet bin. Und schau an, der See ist mit „vorübergehend geschlossen“ getagt. Boah, wenn da jetzt einer ein Tor auch noch vorne an die Straße hingesetzt hat, ich dreh durch.

Also mache ich mich auf den Weg, der übrigens ziemlich scheiße ist. Grober Schotter und vor allem Sand ist etwas, was sich einfach nicht gut fahren lässt. Aber, ich komme durch, und freue mich wie nie über die geteerte Straße.

Und im Gegensatz zu Beginn des Tages ist es keine Nationalstraße, sondern nur eine Landstraße. Große Straßen mit viel Verkehr muss man hier wirklich nicht fahren. Vor allem nicht, wenn sie kerzengerade sind, und Autos wie Busse das mit dem Seitenabstand nicht so ernst nehmen. Ich hattte da ja ein paar Kilometer, und für mich herausgefunden: Fahre ich ganz rechts, quasi auf dem weißen Streifen, dann überholen mehr Autos ohne jeglichen Abstand. Sie können überholen, ohne den Mittelstreifen überfahren zu müssen. Das macht der Autofahrer wohl nicht so gerne. Fahre ich jedoch nicht ganz rechts, sondern etwas raumeinnehmender, dann muss das Auto ohnehin rüber auf die Gegenspur – und plötzlich klappt das auch mit dem Abstand.

Zurück auf der Straße steuere ich das finale Ziel des Tages an: Castelo Rodrigo.

Es gehört zu den „Aldeias Historicas“, ist also alt. Und touristisch erschlossen. Also sehr erschlossen.

Wie ich ankomme karren sie gerade englische Touris in Reisebussen hoch. Ältere Herrschaften, die nicht alle sehr glücklich aussehen. Weil es ist anstrengend, und dünne Schlappen sind auf dem Kopfsteinpflaster eher nicht so ideal. Ich drehe heute eine Runde durchs Dorf, spare das Castelo selbst aber auf.

Denn da würde ich gerne morgen früh zum Sonnenuntergang hoch. Wenn man denn reinkommt, um diese Uhrzeit.

Dazu brauche ich aber einen Übernachtungsplatz in der Nähe, also hier oben irgendwo. Das ist nicht leicht, denn der Kern des Ortes ist schon sehr voll, und wo man nichts baut, muss man ja auch nichts gerade schieben, also ist alles andere schräg. Hinzu kommt, dass es hier wie Hechtsuppe zieht. Aber, die Aussicht ist schön.

Also versuche ich mein Glück einfach mal, ehe ich doch wieder runterfahre – und entscheide mich für eine windgeschützte Stelle, auf dem Wanderweg unterhalb des Castelo. Es hat Wiese, es ist gerade, und hier verirrt sich ganz bestimmt keiner der Touris her. Die werden ja wieder mit dem Bus runter gekarrt. Und tatsächlich kehrt Ruhe ein – nach 20 Uhr fährt kein einziges Fahrzeug.

Was mir jetzt noch zum Verhängnis werden könnte, das ist dieser Moskito. Ich gehe jetzt mal das Mückenmittel rauskramen. Und sag schonmal Gute Nacht.


Tag 4: Brava Faia – Hike The Bike!

Wenn ich da campen kann, wo ich plane zu campen, dann sollte dies eine ganz entspannte Runde mit nur 20 Kilometern und überschaubaren Höhenmetern werden.

Ja klar.

Der Tag beginnt mit ausschlafen. Die Supermärkte hierzulande machen ja erst um 9 Uhr auf, und da ich mir nochmal so einen guten, portugiesischen Energiekeks holen möchte, lautet mein erstes Etappenziel Intermarché. Die haben auch immer eine Cafeteria, genau mein Ding. Wer geteerte Straße und Zivilisation sagt, der muss auch Pastel de Nata und Café sagen.

Die nächsten Kilometer sind recht zäh. Es ist schwül, ich bekomme sogar ein paar Tropfen ab. Mein Arsch glüht noch von gestern, und so hangele ich mich von Dorf zu Dorf.

Wie schön, dass die alle eine Kirche mit Wasserzapfstelle und Hunden haben, die auf mich aufpassen.

Es hat auch schöne Fliesenbilder, Denkmäler, liebevoll angelegte Blumenkästen und kleine Parks. Wirklich nett anzusehen.

Was es relativ früh am Morgen noch nicht hat, sind Menschen. Die Portugiesen sind echt keine Frühaufsteher.

Noch eine perfekt geteerte Straße, für eine letzte wunderbare Abfahrt, ehe es wieder offroad geht.

Ich erreiche mein heutiges Etappenziel: Faia Brava.

Ein privater Naturpark, der am Rio Côa liegt, durch den der Weitwanderweg geht, auf den ich hier also wieder treffe. Das „privat“ lässt hoffen, dass sich jemand um die Wege kümmert und ich den Drahtesel nicht wieder durch die Brombeerhecke schieben muss. Heißt ja auch Bikepacking und nicht Bikehiking. Oder Hiking mit extra Schikane. Wenn man von der Radtour einen Muskelkater in den Schultern bekommt, vom Schieben, soll das so sein? Bin mir nicht sicher.

Der Park fängt interessant an, mit einer recht morbiden Kunst-Installation.

Durch die Brombeerhecken muss ich tatsächlich nicht, aber auch sonst fehlt mir ein bisschen der Blick für die Schönheit dieser unberührten Natur, angesichts der ganzen Schieberei. Aber, es ist schon schön hier. So sieht es also aus, wenn der Mensch nicht zu viel Hand anlegen darf. Bis auf ein paar alte Olivenbäume sind es vornehmlich Korkeichen und Steineichen, plus ein paar andere Bäume, allerlei Buschwerk und Gräser. Es gibt viel Granitstein, aber nur in bestimmten Ecken haben sie Mäuerchen draus gebaut. Was es hier absolut gar nicht gibt: Brombeeren, Ginsterbüsche, Mimosen, Eukalyptus, Pinien. Nichts, was invasiv ist oder in Portugal auch gerne mal als Monokultur angebaut wird. Hier sehe ich Bäume und Büsche, deren Namen kenne ich nicht, und ich habe sie teilweise schon länger nicht mehr gesehen.

Wilde Tiere habe ich leider nicht viele gesehen. Mal eine Gruppe Pferde, die ihre Mittagspause im Schatten eines Baumes verbringen.

Auch Menschen sehe ich keine. Ist wohl niemand so verrückt wie ich, sein voll bepacktes Fahrrad bei 30 Grad durch die Gegend zu schieben. Ganz ehrlich, mehr als 20 Kilometer müssen es heute nicht werden.

So bin ich echt froh, dass der geplante Übernachtungsort bereits um 14 Uhr das Ende dieses Fahrtags einläutet. Es gibt ein Steinhaus mit Vordach und Sitzgelegenheit. Perfekt, denn heute glüht mein Hintern nicht mehr so, dafür der Kopf umso mehr. Ein kleiner Rundgang offenbart ein Brunnen mit feinstem Quellwasser.

Und ein Stück weiter ein Sanitärhäuschen, mit Dusche.

Ja geil. Internet geht so, das Solarmodul liegt artig in der Sonne, und ich probiere den Wasserfilter aus, die ich seit Tagen mit mir rumschleppe. Das Wasser ist zwar sehr sauber, es hat nur ein paar Schwebstoffe an der Wasseroberfläche. Während die Akkus laden gönne ich mir eine Dusche. Herrlisch.

Es wird abend, ich verzichte aus grober Faulheit mal wieder auf den Zeltaufbau. Hier sollte es ja nachts trocken sein, auch zu trocken für Moskitos. Und eines dürfte man inzwischen mitbekommen haben: ich brauche auf einer Bikepacking Tour durch Portugal im Sommer kein Zelt. Was super ist, denn das spart nicht nur ein Zelt, sondern auch eine Packtasche. Aber dazu später mehr.

Wir waren bei den Moskitos. Kaum liege ich im Bett, es ist längst dunkel, höre ich dieses fiese Gesummse der Moskitos. Es müssen viele sein. Ich habe aber noch weniger Lust das Zelt im Dunkeln aufzubauen, hier direkt am Haus bekommt man doch ohnehin keinen Hering in den Boden. Also wird als erste Maßnahme das Moskitomittel großzügig aufgetragen. Und später dann noch das Innenzelt, das ja zur Hälfte aus einem Moskitonetz besteht, über den Schlafsack gestülpt. Es schützt mich die nächste Stunde auch vor den Viechern. Dann sind sie wohl schon wieder im Bettchen, alle sind weg. Und es ist auch kühl genug, dass ich mich in den Schlafsack ordentlich reinlegen kann.


Tag 5: Grande Finale!

Die Nacht war recht kurz, endete mit der Morgendämmerung um 6 Uhr morgens. Dieser eine Moskito, der so unbedingt an mich ran wollte … Oder diese großen Vögel, die irgendwann mitten in der Nacht auf dem Blechdach über mir gelandet sind. Ja, das macht wach. Ob es wohl die Geier waren, die es hier geben soll?

Im Zusammenpacken bin ich recht schnell, und eine halbe Stunde später geht es schon los. Bad, Frühstück, Schlafsack und Isomatte in ihre Beutel zurück fummeln, noch etwas Wasser filtern, und alles an seinen Platz packen. Und los geht‘s, früher Wurm und so. Aber Wurm ohne Kaffee ist eher eine Made, und so hoffe ich auf ein Café im übernächsten Kaff. Das erste Kaff ist nämlich so klein, da weiß ich schon, das wird nix. Grundsätzlich geht vor 9 Uhr morgens im ländlichen Portugal nicht allzu viel.

Aber ich habe Glück, und ich bekomme ein typisch portugiesisches Radfahrerfrühstück: einen Espresso, eine Dose Sumol und ein abgepacktes Törtchen. Der Kaffee wird inhaliert, der Rest kommt mit. Ein paar Kilometer weiter gibt es mein auserkorenes Pausenschild. Ein bei Mopedfahrern beliebter Stein, der das Ende der N222 markiert. Auf den Stein pfeife ich, habe ja ohnehin keinen Aufkleber dabei. Aber hinter dem Stein, da hat es Schatten! Zeit für eine Frühstückspause.

Die Ausblicke über die hügelige Landschaften hier sind übrigens grandios. Die Handykamera kann sie nicht wirklich einfangen.

Heute bleibe ich erstmal auf der geteerten Straße, und passiere ein paar weitere nette Dörfer.

Leider musste ich so ein paar Abstecher runter zum Rio Côa oder rauf auf einen Hügel mit Aussicht auslassen. Fakt ist: mein Arsch braucht eine Pause. Oder Feierabend. Der Arsch glüht nun so richtig, und ehe er vollends Feuer fängt, schaue ich, dass diese Tour ein baldiges Ende findet. Hinzu kommt erschwerend, dass einst auserkorene Abstecher eine Anfahrt haben, die ich nicht mehr packe.

Das im Bild oben ist übrigens Castelo Melhor. Wir erinnern uns: Vorgestern kam ich an Castelo Bom vorbei. Castelo Bom = Gutes Kastell. Castelo Melhor = Besseres Kastell. Also die Dorffehde, die zu dieser Namensfindung geführt hat, die hätte mich ja schon interessiert.

Ich habe übrigens keinen Muskelkater, und Konditionsprobleme ließen sich mit etwas mehr Zeit beheben. Doch kann ich kaum noch auf dem Sattel sitzen. Im Schnitt um die 7 Stunden reine Sattelzeit, das war die letzten Tage doch sehr viel. Und ist es erstmal aufgescheuert, tut halt einfach weh – vor allem wenn es den Berg rauf geht. Und Anstiege auf Schotter oder Pflasterstein, die tun schon etwas mehr weh.

Dann hätten wir noch die 30 Grad. Damit diese Tour noch im Guten enden kann, skippe ich ein paar der geplanten Kilometer, sage meinem privaten Taxiunternehmen Bescheid, dass er sich zur Abholstelle aufmachen kann und nehme immerhin noch den letzten Abstecher wahr.

Ein Lost-Place-Staudamm. Meines Wissens einmalig in Portugal. Kurz bevor der Rio Côa in den Rio Douro mündet, wollten sie ca. 1992 einen neuen Staudamm bauen. Haben damit auch angefangen. Umgerechnet ca. 100 Millionen D-Mark sind damals in das Projekt geflossen. Dann hat die verantwortliche Firma EDP einen Archäologen damit beuftragt zu bestätigen, dass es nichts archäologisch Wertvolles im betroffenen Gebiet gibt. Der hat uralte Steinmalereien entdeckt, ein Sensationsfund – den er verschwiegen hat. Es kam dann aber doch raus, dann gab es Proteste und einen Medienaufschrei, das Geklüngel von Stromkonzern und Politik kam zum Vorschein, und dann wurde der Bau entgültig gestoppt. Und aus der Gegend wurde ein Naturpark, heute UNESCO Weltkulturerbe, usw. Gut so.

Was blieb ist der Beton in den Hängen. Die eigentliche Staumauer haben sie nicht errichtet, so gibt es nicht ganz so viel zu sehen. Ich schaue mir Teile an, lasse aber einiges aus – noch mehr Höhenmeter wollten wir ja vermeiden, nicht wahr.

Der Weg zum Lost Place ist ja irgendwie auch schon selbst ziemlich „lost“. Wo das Wasser den Berg runter kommt, ist er nicht mehr existent, und ich schiebe mal wieder.

Ich fahre ganz runter an den Rio Coa, setze mich in den Schatten eines alten Gebäudes, zwitschere mir die restlichen Snacks und einen halben Liter Wasser rein – und bereite mich für meinen letzten Anstieg vor. Der natürlich auch der allerfieseste dieser Tour sein wird: 260 Höhenmeter in einem Zug. Kein Meter eben, immer noch bergauf, mit 7-10% Steigung. Bei 30 Grad. Auf einer Straße, die von den Kippern des nahe gelegenen Kiesbergwerks befahren wird. Ick freu mir.

Mein Ziel ist klar definiert: Die Tiefkühltruhe mit dem Eis im Intermarché von Vila Nova de Foz Côa. Es sind ja nur ein paar Kilometer, die schaffe ich auch noch. Okay, schließlich werden es mindestens 5 Pausen. Es ist wirklich die Luft raus, und mein Puls ist zu hoch. Den möchte ich aber immer schön wieder runter bekommen, ehe ich weiter fahre. Mit einem 150er Puls steige ich bei 30 Grad nicht aufs Fahrrad, das führt zu nichts. Die letzten Tage hatte ich keine Probleme mit dem Puls, er war immer schnell wieder unten. Heute achte ich da etwas mehr drauf, und so dauert es, bis ich oben ankomme.

Das Beste an dem Anstieg war übrigens die Baustelle, die ein Drittel der Strecke einnimmt. So musste ich mich wenigstens nicht mit den überholenden Lkws rumschlagen.

Ich kaufe ein paar Sachen im Intermarché, und wen sehe ich, als ich rauskomme? Mein Privattaxi ist da! Und er hat die Hunde dabei. Ziva freut sich wie ein Schnitzel. Endlich ist das Rudel wieder vollständig! Max macht sich nicht die Mühe mal aufzustehen um mich zu begrüßen. Okay.

Letzter Abschnitt: es geht primär bergab, runter zur alten Eisenbahnbrücke, wo der Côa in den Douro mündet.

Andre fährt schonmal vor, ich tuckere hinterher. Bin tatsächlich super langsam, denn der Weg ist super steil. Also diesmal bergab steil.

Einspurig, mit vielen Kurven, ohne irgendwas, das mit bei versagenden Bremsen davon abhalten könnte, ungebremst in den Abgrund zu stürzen. Ne, das wollen wir heute nicht. Bin ich doch gerade so happy, dass mein Fahrrad und ich halbwegs unbeschädigt aus dieser Tour rausgehen. Ist bei meiner gelegentlichen Grobmotorik ja keine Selbstverständlichkeit. Dann haben wir es endlich geschafft: Nach …

  • 175 Kilometer, ca. 50% auf nicht geteerter Straße
  • 2290 Höhenmeter
  • 4 Nächte und 5 Fahrtage
  • 5 Bachdurchquerungen
  • 6 Kilometer das 38kg schwere Rad wo hochgeschoben
  • Tagsüber meist um die 28 Grad, nachts 15 Grad

… habe ich mein Ziel erreicht. Da, wo der Rio Coa in den Rio Douro mündet.


Kurzes Fazit und paar Erkenntnisse:

Man kann diese Tour den Coa entlang auch entspannter gestalten – mit mehr geteerter Straße und weniger Wanderweg. Schließlich machen Andere die 175 Kilometer an einem Tag, und keine fünf.

Dies würde jedoch nicht meiner Idealvorstellung einer Radtour entsprechen. Weil die geteerten Straßen kann ich auch mit dem Sprinterle fahren, dafür brauche ich kein Mountainbike. Ich will rein in die kleinen Käffer, in die Minimercados und Cafés, mittenrein in die Natur. Auf Pisten, Wanderwegen, Pflasterwegen. Die nervigsten Passagen waren für mich die Bundesstraßen ohne Schlaglöcher. Denn die sind erstens langweilig und zweitens überholt die Hälfte der Portugiesen einfach zu knapp.

Das Fahrrad ist technisch top. Ich hatte ein Mikroloch in der Flanke, das ich vermutlich schon vorher hatte, und das sich mit der Dichtmilch im Tubeless Reifen selbst wieder geschlossen hat. Seither musste ich kein einziges Mal den Reifen nachpumpen. Ansonsten musste ich mein Fahrradwerkzeug kein einziges Mal rauskramen, die Technik hat einfach so funktioniert. Ist auch besser so, denn normalerweise lasse ich ja schrauben – und so wäre ich echt aufgeschmissen gewesen.

Etwas Optimierungsbedarf ist immer. Und zwar dahin gehend, dass man Negatives etwas beseitigt. Das Reisegewicht darf etwas schrumpfen. 5 Kilo am Gepäck, 5 Kilo an mir, schon sollte das doch viel leichter zu treten sein. Dazu noch etwas mehr an Kondition, und ich werde mir wohl eine neue Radhose zulegen.

Eine mehrtägige Bikepacking Tour durch Portugal ist … entspannt. Was total entspannt ist, ist die Versorgungslage. Selbst dann, wenn man Städte lieber meidet. Grundsätzlich hat fast jedes ordentliche Dorf mehrere Wasserstellen, mindestens ein Café und einen Minimercado. Gerade Letztere sind nicht immer leicht zu finden, denn es hat manchmal kein Schild an der Tür, nichts. Doch gibt es in jedem Dorf und zu jeder Zeit eine/n Hundertjährigen, die man fragen kann.

Allerdings eher nicht vor 9 Uhr. Portugal liegt frühmorgens nämlich noch im Dornröschenschlaf. Fährt man also um 7 Uhr los, um der sommerlichen Hitze etwas zuvor zu kommen, muss man vermutlich erstmal ohne Kaffee auskommen. Aber, das Warten lohnt. Ein Kaffee in Portugal ist ein handfester Espresso, der in 10 Sekunden vor einem steht und nur 50 Cents kostet. Dazu noch ein Gebäck mit nicht zu wenig Zucker drin, und schon ist das portugiesische Powerfrühstück komplett. Für die nächste Pause habe ich mir immer noch ein eisgekühltes Sumol (=portugies. Fanta, aber mit weniger Zucker und Kohlensäure) eingepackt. Eine halbe Stunde fahren, und es ist so aufgetaut, dass man es trinken kann.


Ich glaube, das war nicht die letzte Tour

Auch, wenn ich gegen Ende ein paar Wehwehchen hatte: die Tour hat mir richtig Spaß gemacht. Wobei ich ja ganz anders fahre wie Andre. Er macht gerne Höhenmeter auf der Straße, ich schau mir schonmal den einen oder anderen Wanderweg an. Und bin auch sonst viel, viel langsamer unterwegs.

Die alten Dörfer mit den neugierigen Hundertjährigen, denen ich die letzten Tage bestimmt Fünfmal meine Geschichte erzählen musste (ich bin alleine unterwegs, weil mein Mann zu Hause bei den Hunden bleiben muss, weil einer ist alt und so).

Überall irgendwelche alten Steine, Lost Places, Denkmäler und Burgen. Römische Brücken, maurische Festungen, alte Synagogen und Kirchen. Wer der ländliche Portugal entdecken möchte, auf Idylle und Natur steht, ist hier genau richtig.

Also mal schauen, wann es wieder eine Tour geben wird. Das hier war die Vor-dem-Sommer-Tour. Ich könnte mir eine Nach-dem-Sommer-Tour vorstellen.


Extra: der Heimweg

Wir hängen das Rad an den Sprinter, und machen uns auf den Weg nach Hause. Machen unterwegs aber noch ein paar Abstecher, die ich hier aber nur der Vollständigkeit halber erwähnen möchte.

Erstmal geht es nochmal zu dem Staudamm. Ich weiß ja jetzt, dass da eine Straße hingeht, und so schauen wir uns die zig Tonnen an Beton mal an.

Auf dem Weg nach Süden noch zu einem anderen Lost Place – eine ehemalige Badeanstalt. Direkt daneben haben sie die neu gebaut. Ein wirklich hässlicher Neubau, der aussieht, als wäre ein wirklich teurer Architekt dafür verantwortlich zu machen, es ist manchmal so tragisch. Ich verstehe es nicht.

Schließlich bleiben wir über Nacht an einem Praia Fluvial am Rio Coa. Den hatte ich am ersten Tag meiner Tour entdeckt, und da war kein Mensch. Heute auch nicht. Jetzt wissen wir auch warum: Moskitos.

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